Hotel Junimond - Check in bei Rio Reiser

Ein theatraler Songabend

Von und mit Marie-Luise Gunst, Jens Hasselmann und Dieter Hinrichs.

Künstlerische Mitarbeit / Dramaturgie: Frauke Allwardt
Regieassistenz: Marcella Fassio
Fotos: Harry Schäfer
Bühne: Team
Bühnenbau: Manfred Vahlenkamp
Kostüm: Team + Rita Buschermöhle
Licht: Dieter Hinrichs

Rio Reiser war von 1970 bis 1985 Sänger und Haupttexter von „Ton Steine Scherben“, einer Band, die als eine der ersten ihre Texte immer in deutscher Sprache verfasste. Nach deren Auflösung setzte er seine musikalische Karriere als Solokünstler fort. Rio Reiser war ein großer Musiker und vielleicht ein noch größerer „Poet“. Er starb 1996 im Alter von nur 46 Jahren an den Folgen seiner Alkoholkrankheit.  
Vor nicht allzu langer Zeit machte die Nachricht Schlagzeilen, dass das legendäre Rio Reiser Haus in Fresenhagen verkauft worden sei und der verstorbene Künstler seine geliebte letzte Ruhestätte in Nordfriesland verlassen muss. Jetzt geben ihm drei Musiker und Schauspieler in einem theatralen Songabend im theater hof/19 ein vorübergehendes Zuhause.
Das Berliner Duo “die TONabnehmer” mit der Sängerin und Schauspielerin Marie-Luise Gunst und dem Musiker und Schauspieler Jens Hasselmann, haben sich gemeinsam mit Dieter Hinrichs vom theater hof/19 in die große musikalische Vielfalt des Künstlers “eingecheckt”.
Am Anfang der musikalisch-szenischen Umsetzung stand der Gedanke, dass jeder der thematisch weitreichenden Songs einem Blick in unbekannte Räume gleicht und damit Türen für neue Welten und Sichtweisen erschließt. So begegnen sich drei nächtliche Gestalten in der Traumwelt des fiktiven “Hotel Junimond”, wagen eben jenen Blick ins Unbekannte und Vertraute des Universums Rio Reiser, der an diesem Theaterabend als unsichtbarer Portier die Fäden führt.
Herausgekommen sind viele spannende und vor allem eigene Interpretationen des Songpoeten, der nicht nur als Sänger der Band “Ton, Steine, Scherben” Geschichte schrieb, sondern auch in seiner oft kritisch besehenen Solokarriere große musikalische Erfolge feierte.
Von “Keine Macht für Niemand” bis “König von Deutschland”, von Agit-Pop („Macht kaputt, was euch kaputt macht“) bis zum Liebeslied („Junimond“, „Stiller Raum“ ...), Rio Reisers Repertoire ist groß, kontrovers und eben deshalb so spannend und aktuell.
Gerade unter dem heutigen Blick, im Schatten der Repolitisierung, von AKW-Abschaltung und Stuttgart 21, erscheinen die alten Songs in neuem Licht.
“Hotel Junimond”  lädt zu dieser modernen Beleuchtung genauso ein, wie zum nostalgischen Schwelgen in den bekannten Balladen und Popsongs Rio Reisers, ein Hotel in dem alle Emotionen Platz haben: Humor, Verstand, Ängste und Liebe - all inclusive.
Wer sich diesen musikalisch-theatralen Trip nicht entgehen lassen will, sollte unbedingt ins “Hotel Junimond” einchecken.
„Umarmen möchte man das Trio dafür, dass sie im Gegensatz zu Plewka mehrere Songs aus „Himmel und Hölle“ einfließen lassen.
(...) Das Bühnenbild funktioniert wunderbar. In Z-Form verschachtelt sind drei karge Liegeflächen aufgebaut.
Gitarren und Trompete werden zu Stehlampen umfunktioniert.


Die Presse schreibt:

Genial: „Keine Macht für niemand“, dieses laute Ton-Steine-Scherben-Protestlied, wird als sanfter A-Cappella gesungen.
Bei „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ lassen sie dann doch den Punk raushängen...„Umarmen möchte man das Trio dafür, dass sie im Gegensatz zu Plewka mehrere Songs aus „Himmel und Hölle“ einfließen lassen. (...) Das Bühnenbild funktioniert wunderbar. In Z-Form verschachtelt sind drei karge Liegeflächen aufgebaut. Gitarren und Trompete werden zu Stehlampen umfunktioniert.
Weitere Requisiten, vom Essbesteck über Kommunikationsmittel bis hin zum Atomkraftwerk, werden bei Bedarf produktionskostenschonend per Kreide erzeugt.
Eine weitere Stärke sind die abwechslungsreichen eigenen Arrangements. Genial: „Keine Macht für niemand“, dieses laute Ton-Steine-Scherben-Protestlied, wird als sanfter A-Cappella gesungen. Bei „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ lassen sie dann doch den Punk raushängen... "NWZ, Kultur, 11.04.2011

 

Südkurier Bodensee-Oberschwaben, 01.07.2013, von Andrea Büchner
Friedrichshafen -  Das Theater hof/19 aus Oldenburg begeistert mit einer berührenden Rio-Reiser-Hommage das Publikum im Häfler Kiesel.
„Und, was ist mit Joschka?“ steht auf dem Bühnenboden im Kiesel, daneben Rechenaufgaben, Noten und Kinderzeichnungen. Marie-Luise Gunst, Jens Hasselmann und Dieter Hinrichs vom Theater Hof/19 aus Oldenburg entführen das Publikum im Häfler Kiesel ins fiktive „Hotel Junimond“ und checken mit „Gefahr“, einem Titel von Rio Reisers sechstem und letztem Soloalbum aus dem Jahr 1995 dort ein.

Virtuos spielen sie sich hinüber ins „Zauberland“, das – 1990 veröffentlicht – als Abgesang auf die untergehende DDR verstanden wurde. „Ich bin aufgewacht und hab' gesehn, woher wir kommen, wohin wir gehen“, singt Gunst. „Schritt für Schritt ins Paradies“ erschien 1972 auf der LP „Keine Macht für Niemand“, dem zweiten Album der 1970 von Reiser mit gegründeten Kultband „Ton Steine Scherben“.

Über ein Vierteljahrhundert lang prägte Reiser die deutsche Musik, anfangs als Bandmitglied, später solistisch, mit Punk und politischen Songs, Balladen und Liebesliedern. Bunt und vielfältig verweben die drei Künstler im „Hotel Junimond“ Reisers Repertoire zu einem spannenden und sensiblen Streifzug durch sein Leben. Mit eigenen Interpretationen hauchen sie Reiser ihren Atem ein, ohne ihn seiner Individualität zu berauben.
Reiser steht im Mittelpunkt, in einer Intensität, die ohne die künstlerischen Fähigkeiten von Gunst, Hasselmann und Hinrichs undenkbar wäre.
Vom bewegenden „Junimond“ wechseln sie zum düsteren und eindrücklich choreografierten „Blinden Passagier“. Gitarren, Akkordeon, Schlagzeug und E-Gitarre, Flöte, Trompete, Mandoline und Xylophon: offenbar gibt es kein Instrument, das nicht wenigstens einer der Drei beherrscht. Angewiesen sind sie nicht darauf. Auf ihren drei Betten liegend singen sie „Agitpop“ aus den 1970ern, zuerst a capella „Keine Macht für Niemand“ und im nächsten Moment möchte man sich wie Hinrichs die Ohren zuhalten, denn mit „Macht kaputt was euch kaputt macht“ legen sie kräftigen Punk vor. Gefühlvoll singt Hasselmann die Ballade „Weit, weit, weit von hier, hier vor meiner Tür, saß ein Mensch, wohl ein Kind. Kannte ich nicht das Gesicht? Ich glaub, das Kind war ich.“

Auch wer Reisers Biografie und politische Positionierung nicht kennt, fühlt sich an diesem Abend im „Hotel Junimond“ heimisch, berühren doch viele Texte das eigene Leben. Spätestens die von Gunst auf dem Xylophon gespielte Melodie ist dann keinem mehr fremd. Hinrichs erscheint im Bademantel auf der Bühne und gibt mit kindlichem Überschwang und majestätischer Würde einen brillanten „König von Deutschland“ ab, „schicker als der Rösler und hübscher als Trettin“. Manche von Reisers Texten rezitieren sie und leiten so geschickt zum nächsten gesungenen Lied über. Mit „Halt dich an deiner Liebe fest“ – einer der schönsten Balladen von Rio Reiser – checken Gunst, Hasselmann und Hinrichs mit leisen Tönen aus dem „Hotel Junimond“ aus.


Die Produktion wurde gefördert vom Land Niedersachsen